Mittwoch, 26.Mai 2004, 27,5 km
Wetter: schön, leicht dunstig, in Roncevalles Nebelnässen
Start im Morgengrauen. St.Jean schläft noch, nur Pilger sind bereits unterwegs. Voralpenlandschaft im Morgendunst. Verträumtes Frankreich, das ich in den letzten Wochen durchwandert habe. Langer, herrlicher, traumhafter Anstieg zunächst über kleine Asphaltstraße, das Licht, die Luft, der Blick ins Tal, St. Jean schon ganz weit unten, ich versuche immer wieder, den Eindruck aufs Bild zu bannen. Mal sehen, obs was geworden ist. Heute viel Pilger auf dem Weg. Junge Frau vor mir, schert aus, um was zu trinken. Ich zeige ihr mit ausgebreiteten Armen, wie herrlich ich diesen Tag finde. Sie breitet zurück und lacht.
Ich bin regelrecht high: weich betautes Blattwerk freistehender prächtiger Bäume, leere Grasberge, dunstig-milder Himmel dahinter, stahlblau, von weißem Wolkendunst umweht, friedliche Schafherden an den Hangkanten.
An einer Wegkurve ein sterbendes Pferd in einem Bach, zum Streicheln nah, es bewegt noch etwas seinen Kopf. Hilfloses Heulen.
Der weiße Dunst verdichtet sich zu zähem Nebel, Leichentuch. Sicht nur noch höchstens 20m. Schemenhafte Pferde mit Glocken um den Hals, Schafe wie Gesteinsbrocken ausgestreut im Nebel, immer wieder Pilger. Pilgerkreuz mit Fähnchen. Wo gehts weiter? Im Nebel nahezu nicht zu erkennen. Gehen wir halt den Trampelpfad. Junge Amerikanerin aus Kalifornien schließt sich an, nettes, kurzes Gespräch.
An Passhöhe französischsprachige Tafel mit Pilgergeschichte. Ein Mann, den ich wegen seiner englischen Unterhaltungen mit seiner Partnerin und wegen seines Aussehens für einen Amerikaner halte, übersetzt ihr den Text. Mensch, ein Ami, der so gut französisch kann! Beim Abendessen in Roncesvalles sitzen wir zusammen und ich frage ihn, wo er sein französisch gelernt habe: in Paris, er ist Franzose, spricht aber mit seiner deutschen Freundin, die er auf dem Jakobsweg kennengelernt hat, nur englisch, da sie kein französisch kann. Das amerikanische Übersetzungswunder war also keins. Oder ein französisches?
Sonne bricht wieder durch den Nebel, traum-zauber-verwunschener Weg durch Wald, licht, gelbgrün, blaublasser Himmel durchscheinend. Ganz oben. Der Nebel reißt kurz bis ins Tal auf: tief unten sehe ich Roncesvalles liegen. Diesen Aufstieg hätte ich mir nicht so schön vorgestellt. Befriedigt mache ich in einer windgeschützten Kuhle eine lange Pause mit allem Drum und Dran.
Der Wind wird schärfer und kälter, der Nebel wieder dicht. Aufbruch zum Abstieg ins Tal. Die Sicht kann man nicht mehr als solche bezeichnen. Markierungen, die von der Straße abweichen, verlieren sich im stürmisch-kalten Nebel. Bleib ich halt auf der Straße.
Am Ibanetapass komme ich aus dem Nebel raus. Nette österreichische Radlerin, wir unterhalten uns etwas. Weiter steil runter durch frischen Wald nach Roncesvalles. Dicht führt der Pfad an der Rückseite der Kathedrale vorbei. Hübsches Zimmer, Cerveca con Limone (Radler), Tagebuch. Gegenüber ein uriger Spanier. Prostet mit zu und übersetzt: Contente = Isch guet. Kathedrale. Ich warte, bis alle draußen sind und das Licht ausgeht: Laudate . Wow! In der Kathedrale von Roncesvalles singen! Wer darf das schon?
Pilgermenue mit Forelle blau sehr gut. Glücklich geschlafen.
< | Übersicht | > |