70 Leon – Hospital de Orbigo

Mittwoch, 9.Juni 2004, 37,5 km

Wetter: sonnig, sehr heiß, leichter Wind

In der Lobby versuchen übernächtigte deutsche Geschäftsleute im Morgengrauen sich mit der Rezeption auf ein gemeinsames Taxi zum Flughafen zu einigen. Die Verhandlungen scheitern, jeder muss sich ein eigenes Taxi bestellen und jeder schimpft auf die Unbeweglichkeit des Anderen. Hinter mir drängelt sich eine Karrierefrau, die dringend zum Flugplatz muss; ihre mühsam unterdrückte Unruhe und Hektik spüre ich körperlich. Bin froh, hinaus in den Dämmer zu dürfen.

Geradeaus durch die Vorstadt, immer entlang der Straße bis La Virgen del Camino. Hier gabelt sich der Weg: neben der Schnellstraße: kürzer, über Land: länger. Bin heute sehr unschlüssig. Schließlich fällt mir aber das Autogedröhn ausreichend auf den Nerv, und ich wähle die längere Strecke. Zwei junge Amerikanerinnen, fröhlich, tanken Wasser am Brunnen.

Zunächst kleine Landstraße auf und ab, dann rote Piste über karges Kastilien, aber deutlich abwechslungsreicher als die letzten Tage. Auf einem riesigen Traktorreifen abseits der Piste macht eine Frau Rast. “Schöner Platz?” sie winkt mich zu sich, da Sitzmöglichkeiten hier Mangelware: nur hartes Gras, Dornen, Stachelgebüsch. Kommt aus Dänemark, in St.Jean gestartet, spricht prima Deutsch, hat sich einen OrginalPilgerTrinksack aus Leder zugelegt. Zünftig! Leider schmecke das Wasser nach Leder und er sei sehr schwer. Aus meiner unökologischen, federleichten PET-Flasche schmeckt das Wasser ganz neutral. Hätten sie die Wahl gehabt, die Pilger im Mittelalter: welches Behältnis hätten sie gewählt?

Nach 1 1/2 Std. gibts ‘ne Bar in Chosaz de Abajo, eine wenig abseits vom Weg, aber auf die nächsten 15 km die einzige. Daher kleine Kaffeepause, bei stark zahnluckerter schmuddeliger Wirtin. Also auf schöne Zähne geb’ ich schon was (auf gewaschen auch!). Die Dänin kommt vorbei, ich empfehle ihr den Miam-Miam-DoDo (auf deutsch etwa: mampf-mampf-schnarch) für den spanischen Weg, da ihr Führer keinerlei Adressen und Öffnungszeiten von Geschäften, Herbergen usw. angibt.

Recht hübsch weiter auf kleiner Landstraße ohne Verkehr (außer immer wieder Pilgern) bis Villar de Mazarife. Am Ortseingang bei Brunnen Flasche aufgefüllt. Dann Asphalt in Mittagshitze, wieder scheinbar endlos. Merke mir einen Punkt weit vorne und freue mich, wenn ich ihn erreicht habe; dann den Nächsten. Ich setze die Stöcke mit ein, um mich selbst anzutreiben, und nicht immer träger zu werden, Schattenwasser, Schnaufsingen .

Scharfer Schweiß in die Augen

Der Ort rechts vorne ist bedauerlicherweise nicht das nächste Ziel, in dem ich vielleicht was kühles zu trinken bekomme. Hatte mich schon gefreut. In weitem Schotterbogen daran vorbei, über einen matten Bachlauf, streunende, ängstliche Hunde, mühsam auf grobsteiniger Piste, Mist, mir tun die Füsse weh, brauchen Pause, endlich Villavante. Da gibts wieder ‘ne Bar. Dorf wie ausgestorben, bin einziger Gast. Nette Kinder der Wirtsleute kommen gerade aus der Schule. Und ich kann meine Füße in der Schattenkühle ausstrecken.

Erfrischt weiter in den Mittagsglast, über Autobahnbrücke, nochmal ein Stück Landstraße, Turmrenovierungsbaustelle, und dann die lange Römerbrücke über den Orbigo. Am ihrem Ende links winkt ein freundliches kleines Hotel, Sonnenschirme auf der Terrasse, Fenster zur Brücke.

Hach, wär das schön, wenn das mein Vorbestelltes wär.

Ist’s!

Und mein Zimmer Fenster zum Fluss hätte.

Hat’s!

Glückskind!

Als ich die enge Treppe hochsteige, kommt mir -wer- entgegen? Manfred. Er ist die kürzere Strecke entlang der Straße gelaufen. Treffen uns sicher gleich wieder!

Frisch machen, Tagebuch, Radler. Ein Ebensolcherpilger labert mich an der Bar ungefragt mit seinen Kilometerleistungen seit Deutschland voll, und dass er dem Wirt seinen Zimmerpreis gerade runtergehandelt habe, wollen den Leuten doch zeigen, wo der Bartel den Most holt! Soll ich ihm sagen, dass ich schon länger als er, aber zu Fuß unterwegs bin und ich die Preise für die immerhin klimatisierten Zimmer für angemessen halte? Schau ihn nur leer an, bis mein Glas auch so weit ist.

Ortsbummel, Kirche zu. Um 19:00 ist Gottesdienst, da kann man rein, sagt die Besitzerin vom Laden gegenüber. Gehe ich vorher noch zum Fluss unter die Brücke, ist eh das Einzige, was hier attraktiv ist. Immer noch sehr heiß. Hab mir ‘ne Schokolade gekauft, die schneller zerfließt als ich sie essen kann. Auf einem Fels am kühleren Flussufer im Schatten der Brücke schmiere ich sie mir aus dem Papier als Nutella auf einen Rest Weißbrot.

Der Priester knattert seine Liturgie lustlos aber laut über die Verstärkeranlage, seine Gemeinde reagiert resigniert. Die Geschäftsbesitzerin ist auch da. Die Kirche leert sich erheblich schneller als die in Leon. Befriedigendes       Laudate .

Köstlicher Salat mit Thunfisch und 3 Bier im kleinen Hotel, tief geschlafen. Manfred treffe ich heute nicht mehr.

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