Sonntag, 13.Juni 2004, 34 km
Wetter: sonnig, sehr heiß, frischer Wind
Zunächst 4 km über morgendunkle ruhige Landstraße, feucht vom Tau. Dann Abzweig und durch schlafende Dörfer. Immer wieder bereits einige Pilger unterwegs.
Die bewaldeten Gipfel fangen schon etwas Sonne, vorne verschwindet der Weg im Wald, unten am Bach im Wiesenhang poltert eine Wildsau. Es geht schön gleichmäßig aufwärts, teilweise grobsteiniger Weg, herrlich steil, komme wunderbar ins Schnaufen und Schwitzen. Propere Bergdörfer, quiekend grunzende Schweineherde kreuzt den Weg.
Hinauf zu den Almen, freie weite Blicke in die Berge, großer Grenzstein am Wegrand: Galicia. Ein junger Spanier kommt hinter mir, überholt mich, als ich fotografiere; er hat verblüffend dünne Beine, wie ein alter Mann. Hab’ immer noch nicht viel gelernt, schalte meinen Turbobooster ein, benutze meine Stöcke und überhole ihn wieder kurz vor O Cebreiro, obwohl er sich mächtig anstrengt; die herrlichen Blicke in die morgensüße Gebirgslandschaft beflügeln. Am Aussichtspunkt von O Cebreiro liegt Galicien zu meinen Füssen, Täler in Watte.
O Cebreiro ist vollständig renoviert, fast schon zu touristisch. Kirche wieder mit Lärmverschmutzung. Will mir jetzt einen Kaffee gönnen. An der Bar wird aber noch gespült, die Bedienung ignoriert mich. Dann kommen zwei Polizisten rein. Die werden sofort bedient. OK, OK, OK, geh’ ich halt in die nächste, wo ich freundlich meinen Kaffee zwischen lauter gestapelten Pilgerrucksäcken bekomme.
Landstraße abwärts, näherkommende Schritte hinter mir, eine junge Spanierin schließt sich mir an. Hola, que tal? Mui bien, gracias! Sie plappert fröhlich drauf los, ich versteh’ nix weil mich ihre wippende Oberweite doch etwas ablenkt. Bald wirds ihr zu warm, sie öffnet den Reißverschluss ganz, tut so, als würde sie meine Blicke nicht bemerken und zieht die bisher noch ein wenig verunklarende Windjacke aus. Trotzdem kann ich im Laufe unserer Unterhaltung rausfinden, dass sie geschieden ist (hat sie furchtbar mitgenommen!), einen 12-jährigen Sohn hat (so jung ist sie dann wohl nicht mehr), der heute vom Papa betreut wird, wodurch sie Zeit für eine Etappe Jakobsweg hat, besitzt auch ein Blumengeschäft, was sie sehr beansprucht. In Linares Schild am Weg: “Church open”, nichts wie rein, in heimeliger Romanik langes Laudate . Draußen applaudieren die Spanier. Pferdepilger mit zwei Hunden, der eine (Hund) mag nicht so recht und trödelt hinterher. Sie geht flott. Steil hinauf zum Alto do Poio leihe ich ihr meine Stöcke. Dort lädt sie mich zu einem Kaffee ein, muss dann mit ihrer Mama telefonieren, worauf sie mir unvermittelt die Hand zum Abschied reicht und verschwindet. Da muss ich lachen, die Mama hat wohl dringend abgeraten.
Ruf ich von hier oben den Götz H. an, der hat heute Geburtstag, und genehmige mir noch eine Cola.
Herrlich über Feldwege mit weiter Aussicht hinunter nach Viduedo, am Wegrand einladende Bar mit überdachter Terrasse und reizendem Blick. Die Bedienung hat ein schwarzes leichtes Kleid mit Spaghettiträgern an und sich-selbst-Tragendes und Schwingendes drunter. Sie beugt sich tief nach vorne und stellt mir langsam den köstlichen Salat und das Radler hin. Ist Galicien nicht schön? Pilger ziehen vorbei.
Kann mich an der Weite und den herrlichen Blicken nicht sattsehen.
Licht, Luft, Landschaft machen mich besoffen, müsste fliegen können. Schön über teilweise romantische Schattenwege ganz hinunter nach Triacastela. Die Kirche ist offen, leer, Laudate . Schönes Zimmer im Erdgeschoss einer Pension, gerahmter Spiegel fest, fast wie ein Fenster in Wand integriert, ob der einseitig durchsichtig ist? Häng ich mal lieber was drüber. Bummel durch den Ort, Tagebuch. Etwas außerhalb bei der Kirche sitze ich auf kleiner verwunschener Mauer mit friedlichem Blick auf eine Frühsommerwiese, links im Talgrund rauscht ein Bach. Hier lasse ich mich nieder.
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zu frischem Wasser. Er erquicket meine Seele und führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
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