Alle guten Gaben…

Kennst Du das auch? Du setzt dich zu Tisch, füllst Deinen Teller, plauderst dabei mit deinen Lieben; möglicherweise laufen Radio oder Fernseher, Zeitung oder Buch liegen griffbereit – wann soll man denn auch sonst zum Lesen kommen. Während deine Augen flink über die Zeitung huschen, füllst du die Gabel; merkst garnicht, wie du sie zum Mund führst, wie du kaust, schluckst – wenn‘s erst grob zerkaut ist spült’s ein Bier runter – die Lektüre ist ja auch zu spannend.

Deine Hände, herrlich autonom, nutzen souverän Bestecke, schneiden Fleisch, tunken Kartoffelstücke, finden blind den  Mund. Ist es nicht praktisch,  dass man über die Nahrungsaufnahme nicht immer neu nachdenken muss; dass man so wunderbar fit ist in „Multitasking“, so viele Dinge gleichzeitig erledigen kann?

Schnell ist aufgegessen. Satt? Nö, nicht so richtig, außerdem ist der Artikel noch nicht zu Ende gelesen. Also nochmal aufgefüllt; man braucht die Augen gar nicht vom Lesestoff zu nehmen.

Töpfe und Teller sind leer, eigentlich hätte man schon noch Appetitt… aber nach einer Viertelstunde zwickt der Gürtel, der Bauch drückt: schon wieder (was war’s denn  eigentlich?) zu viel gegessen….

Hast du Lust, mit mir ein kleines Experiment zu wagen?  Etwas Neues für dich zu entdecken? Ja? Dann los:

Liegt die Zeitung lesefertig? Weg!

Sind Radio oder Fernseher an? Aus!

Ich möchte dir Mut machen, während des ganzen Essens zu schweigen, von nun an nur an dein Essen zu denken, an-dächtig zu essen.

Dazu soll man Mut brauchen? 

Nimm dir doppelt so viel Zeit wie üblich, dafür aber nur die Hälfte auf den Teller.

Entdecke, wie sich dein Besteck anfühlt, wie schwer es in der Hand wiegt, welche Temperatur es hat, wie glatt oder rauh es ist. Freunde dich an mit ihm. 

Fülle die Gabel. Wie duftet das Essen, wenn du es zum Mund führst? Spüre dabei der Bewegung deines Armes, deiner Gelenke nach. Verändert sich in Vorfreude auf die Speise eine Empfindung in deinem Mund? Kannst du erleben, wie dir das Wasser im Mund zusammenläuft?

Was für ein Augenblick, wenn du ihn öffnest! Wie sich die Lippen fühlen, wenn sie die Gabel abstreifen! Strahlen die Wangen innen vielleicht ein Gefühl von Erwartung, Erregung, aus? Schmeckt die Zunge schon, was auf sie wartet? Freuen sich deine Zähne auf‘s Zubeißen?

Gemach!

Bevor du zu kauen beginnst, lege bitte das Besteck auf den Teller und die Hände daneben. Schau mal, ob die da so bleiben können.

Nun kaue, gründlich und an-dächtig; schlucke bitte erst, wenn alles ganz zerkaut ist, bis du die Speise „trinken“ kannst. Spüre dabei in deinen Mund: kaust Du nur auf einer Seite? Oder beidseitig? Wohin wandert die Speise im Mund? Wie lässt sich die Kartoffel zerbeissen? Samtig, fest, mehlig? Wie entfaltet sich ihr Geschmack? Wusstest Du gar nicht mehr, wie Kartoffel eigentlich schmeckt? Wie Gemüse, wie Fleisch? Wie Salat? Verändert sich das Geschmackserlebnis, während Du kaust? Was schmeckt besser oder sogar erst richtig, je länger Du es kaust, was schlechter? Was macht die Zunge mit dem Essen? Versuche zu fühlen, wo an der Zunge was wie schmeckt; ist es überall gleich? Wie verändert sich die Konsistenz? Wo und wie spürst Du, dass noch nicht alles zerkaut, noch nicht flüssig ist. Kannst du deinen Schluckreflex bremsen, ihm mitteilen, dass nur das geschluckt wird, was sich flüssig anfühlt?

Wenn du zwischendurch etwas trinken willst: kaue auch das Getränk.

Und, ach ja, die Hände! Selbständig, wie gewohnt, wollen sie schon wieder Nachschub auf die Gabel laden.  Aber da ist doch noch Speise in deinem Mund!

Vielleicht faltest Du die Hände (dann können die gegenseitig auf sich aufpassen) während du kaust; solange, bis dein Mund ganz leer ist. Merkst du es, wenn du satt wirst? Was für ein wunderbares Gefühl, satt sein zu dürfen! Dann höre auf. du musst den Teller nicht leer essen; genug ist genug.

Wie schön wäre es, auch sonst im Alltag so an-dächtig mit seinem Leib umzugehen.

Lass deine Hände ruhig gefaltet.

 …alles was wir haben, kommt, oh Gott, von dir.
Dank sei dir dafür.