Aufgeregt war ich schon, als ich mich zum ersten Mal entschloß, mehrere Tage nichts zu essen, nur zu trinken: zu fasten.
Wie Trinken, Schlafen, Lieben, gehört Essen zu den Grundbedürfnissen, zu den Fundamenten unseres Lebens.
Was passiert, wenn ich versuche, eines dieser Fundamente zu erschüttern? Gerät alles ins Wanken? Wird etwas anderes an seine Stelle gesetzt? Wie reagieren mein Magen, mein Darm, mein Kreislauf, meine Sinnesorgane? Ob ich durchhalte? Wie lange?
Jesus fastete 40 Tage.
Tiere fressen nichts, wenn sie krank sind. Menschen haben während einer Krankheit keinen Appetit, können oder wollen bei großer Anstrengung nichts essen. Der Körper braucht die Energie, die er für die Verdauung aufwenden müsste, um eine Krankheit zu bekämpfen, um die Mühen eines Anstiegs zu bewältigen.
Der Verzicht auf Nahrung gehört zum Leben.
Wenn wir fasten, gönnen wir dem Körper Ruhe. Er hat dann Zeit, sich in Ordnung zu bringen, aber auch, Verdrängtes an die Oberfläche zu spülen. Habe ich Angst davor? Habe ich Angst davor, empfindlicher zu werden, ein wenig schutzlos, wehrlos; aber auch: empfindsamer?
Fernsehen erscheint mir auf einmal so überflüssig.
Was mache ich mit der Zeit, in der ich sonst gegessen habe? Schlage ich sie tot, weil sie mich bedrängt, spüre ich, wie hilflos ich werde, wenn mir der Rahmen regelmäßiger Mahlzeiten nicht mehr gesetzt ist? Viele haben den undeutlichen, unausgesprochenen, vielleicht auch nicht ganz eingestandenen Wunsch, an ihren Verhaltensweisen etwas zu ändern, ihre Lebensgewohnheiten neu zu formulieren.
Aber auf ein volles Blatt läßt sich nichts Neues schreiben.
– Fasten leert –
Ein frisches, weißes Blatt wird angelegt, und wartet darauf , beschrieben zu werden.
– Fasten lehrt –
Die Tasse Tee, die Gemüsebrühe, langsam, schluckweise genossen, sensibilisieren das Geschmacksempfinden. Brühe und Saft fehlt das Salz, ihr Eigengeschmack wird deutlicher. Alle Sinne entdecken scheinbar Selbstverständliches und Unwichtiges neu:
Den zärtlichen Atem des Windes…
Den Duft gemähter Wiesen…
Das Spinnennetz, glitzernd zart im Tau…
Den weichen Regen im Gesicht…
Dem Kirschbaum Guten Tag sagen…
Freiwillig auf scheinbar Unverzichtbares zu verzichten, macht frei für Überraschendes, Unsichtbares, Verschüttetes, Neues. Die gewonnene Zeit gestatte ich mir, gestalte sie mir, lese, atme, meditiere, horche in meinen Körper, bete, höre auf ihn. Es gibt Menschen, die sind über 1000 km gewandert, ohne feste Nahrung, nur Wasser, Tee, Gemüsebrühe, 50 km Tag für Tag; und haben sich dabei wohlgefühlt, wie nie in ihrem Leben.
Vertrauen gewinnen in den eigenen Körper, in diese Schöpfung.
Vertrauen, das in Dankbarkeit mündet. Dankbarkeit für die kleinen Dinge, die überraschend wichtig werden:
Die unschuldige Vorfreude auf eine gedünstete Möhre, nicht den Schweinsbraten.
Der tiefe Atemzug in frischer, würziger Luft, nicht die Zigarette.
Das Zwitschern der Vögel, ein fröhliches Lied, nicht die Disco, das Stakkato der Laser, den Beat.
Der Körper fühlt sich leicht an, luftig; der Kopf frei und klar: Fasten macht Freude, Vorfreude auch auf die Zeit danach.
Dem Suchenden verändert Fasten das Leben sanft und nachdrücklich:
Vor-Sicht: Fasten!