Mölln-Bleckede, 50 km
2122 Bleckede
Gemeindehaus ev. Kirchengemeinde
Gartenstraße 2
Telefon 05852-1282
Kühles, windiges,aber sonniges Wetter. Super! Wir sind alle bester Laune. Die Schmerzen in den Füßen von gestern abend sind ganz weg.
Mit Tee habe ich mich vollgefüllt, kein Hunger.
Ich will mich vorbereiten und mache Dehnübungen für meine Waden und Achillessehnen an der Wand. Außer bei Gudrun stoße ich auf Unverständnis und leicht spöttische Blicke. Kurze Rast am Till-Eulenspiegelbrunnen bei der hübschen Kirche, dann in östlicher Richtung um den Möllner See auf einem malerischen Fußpfad einen Bach entlang, der in die südlich von Mölln gelegenen herrlichen Seen mündet. Es geht durch Buchenwälder auf weichen Waldpfaden, die Seen immer linker Hand.
Margit und Gudrun unterhalten sich über ihre Schwierigkeiten, eine reine Rohkosternährung durchzuhalten. Also, wenn das so wenig Spaß macht, dann ist das nichts für mich. Rohkost gerne, aber nicht nur!
Wo Wasser ist, muß gebadet werden, und sei’s auch noch so kalt. Einige Unverdrossene gehen im Adams/ Evaskostüm schwimmen. Mir ist’s zu frisch; ich mache es mir mit einigen Anderen auf einem umgestürzten Baum gemütlich. Anneli, eine kleine Frau aus der ehemaligen DDR, büßt ihr Bad mit einer Kreislaufschwäche. Akupunktur von Gudrun, Rubbeln der Hände und Füße und ein Teelöffel Honig bringen sie schließlich wieder auf die Beine. Rüdiger und Horst nehmen sie zwischen sich an den Händen, und die drei marschieren im Sauseschritt einen leicht ansteigenden, steinigen Waldweg hinauf an uns allen vorbei.
Zwischendurch Regen, wieder Sonne, Wind. Viel Sand.
An einer Straßenkreuzung Honigpause. Noch mag ich nicht.
Ganz überraschend stehen wir vor der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Wir sind noch durch ein dichtes Gestrüpp gekrochen, plötzlich freies Gelände.
Kein Zaun, aber mittendrin etwa 2m hohe, im Boden schräg eingelassene Betonplatten, die wohl ursprünglich einen Graben in Richtung Bundesrepublik abgrenzten. Uns ist schon ein wenig unwohl, da wir nicht wissen, ob irgendwo noch Knallzeug rumliegt. Wir beruhigen uns damit, daß minenverseuchte Gebiete wohl gesperrt wären.
Inzwischen weiß man, daß in den ehemaligen Todesstreifen tatsächlich noch viele alte Tellerminen verborgen liegen. Glück gehabt!
Die Landschaft ist herrlich unberührt; Natur pur, seit 40 Jahren. Dicht hinter dem Todesstreifen ein einsam gelegenes Haus. Es ist tatsächlich bewohnt. Zwei alte Leutchen. Haben wir ein Lied gesungen, um die Beiden aufzumuntern (Hoch auf dem gelben Wagen)? Horst vermutet, daß die Beiden wohl sehr linientreu gewesen sein müssen, um so dicht an der Grenze wohnen zu können.
Christiane aus Berlin hat Probleme mit ihren Füßen. Ich versuche, sie aufzumuntern, sage ihr, wie prima sie geht und daß sie es sicher schaffen wird. Aber am nächsten Tag fährt sie zurück nach Hause, holt sich ihr Fahrrad und begleitet uns damit. War wohl nix mit meiner Psychologie.
Dann mit Hildegard auf einem etwas breiteren Waldweg vorneweg. Sie scheint eine patente Frau zu sein, geht flott, sehr locker – es macht Spaß, sich mit ihr zu unterhalten.
Es regnet wieder. Ein Teelöffel Honig für Jeden. Ich verzichte. Mal sehen, wie lang ich so heroisch bleibe.
Das Wandern macht Spaß. Die vor uns liegenden 3 Wochen scheinen mir wie eine köstliche Speisekammer, aus der ich mich satt wandern kann. Die Stiefel sind prima. Leicht, weich, ohne Druckstellen. Bisher keine Blasen.
Nachmittags, gegen 15.00 Uhr, habe ich ein Tief. Ich bin müde, fühle mich schlapp. Eigentlich könnte jetzt Schluß sein. Ich schleppe mich vorwärts, spüre zwar keinen Hunger, aber im Magen ein etwas flaues Gefühl. Nach einer halben Stunde bin ich wieder wohlauf.
Die Erfahrung, daß es nach einer Schwächeperiode, der ich nicht nachgebe, fast besser als vorher weitergeht, werde ich im Laufe dieser Tour noch häufiger machen.
Schließlich auf einer Allee, Sandboden, nicht-enden- wollend, zu einer LPG. Auf dieser Stecke begleite ich Manfred aus Biberach. Er ist mir am ersten Abend aufgefallen, als er bei der Untersuchung den Arzt etwas zweifelnd fragte, ob er sich diese lange Strapaze zumuten dürfe. Er geht ganz zügig und locker; wir unterhalten uns ein wenig. Das Wetter wird wieder unfreundlicher,es wird grau, kühl, stark windig.
Am Waldrand eine Kreuzung. Wir machen eine Saftpause. Zwei Jugendliche mit Moped, die uns sagen, wohin wir gehen müssen, denn die Karte hilft nicht weiter.
Kurz vor Boizenburg wissen wir wieder nicht mehr genau, wo’s lang geht. Eine Frau in einem Trabbi beschreibt uns den Weg.
Durch ein verlottertes und verlassen wirkendes Dorf. Die Sonne sticht. Entlang einer Bahnstrecke erwischt uns ein kräftiges Gewitter. Der Wind treibt von Westen scharfe Regenspitzen. Ich verkrieche mich zum erstenmal tief in meinen Wanderanorak.
Betonfertigplattenwohnheime empfangen uns, mitten in ungepflegtem Grün, Sandhaufen.
Boizenburg, DDR.
Das Ortszentrum kleinstädtisch und gemütlich. Uns ist kalt und wir sind richtig durchnäßt. Im Ratskeller 1 Liter Apfelsaftschorle, sauer; und ein Tomatensaft. Fast schon eine Sünde. Und so glücklich fühle ich mich auch.
Die Apfelsaftschorle kurz vor Ende der Tagestour wird zur festen Einrichtung. Wir machen schließlich Urlaub!
Als wir wieder draußen sind, hat sich das Wetter beruhigt. Sanfte Spätnachmittagssonne.
Auf einem schmalen Fußweg durch Gartenanlagen längs einem schmalen Wasserlauf erreichen wir den Damm mit der Elbe dahinter – denken wir. Es ist ein Seitenkanal, der auf keiner unserer Karten zu finden ist.
Nur noch läppische 15 km.
Auf dem Elbdamm zunächst über Graswege. Gelegentlich glauben wir, unten am Damm ginge es besser, aber wir landen dann doch immer wieder oben.
Auf der sumpfigen Wiese ein Storch.
Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob wir einen Übergang über die Sudemündung finden. Wenn nicht, müssen wir wieder zurück und einen langen Umweg über Gothmann machen. Aber es klappt.
Dann 7 km Betonplatten, auf denen idiotisch zu gehen ist: große Aussparungen in den Platten – ein Fuß paßt grad so hinein – , in Abständen, die keiner Schrittlänge entsprechen. Man muß unheimlich aufpassen, um nicht hängen zu bleiben oder umzuknicken.
Der Weg wird stumpfsinnig. Gudrun und ich gehen flott vorneweg; wir stacheln uns gegenseitig an. Sie erzählt, daß sie in der DDR früher Nachtwanderungen über 100km gemacht haben: Abends los, die Nacht durch und am nächsten Abend Ankunft.
Gammelige Wachttürme. Einen zweckentfremde ich, um mich zu erleichtern. Unsere Gruppe dehnt sich nun auf etwa 2km. Das Wetter wird wieder etwas unfreundlicher, dunkelgraue Wolken, aber es bleibt trocken.
Links unterhalb ein einsamer Bauernhof.
Zur Fähre nach Bleckede kürzen wir vom Damm herunter etwas ab. Auf roten Felsbrocken wird gewartet, bis wieder alle beieinander sind. Zurück in die alte BRD. Punkt 20.00 Uhr setzen wir über.
Auf der Fähre ein Laster, voll frischen Rhabarbers. Füße und Unterschenkel tun weh, als wären sie innen entzündet. Immer noch keine Blasen. (Die kamen dann auch später nicht mehr.) Kein Hunger. Das Fasten macht überraschenderweise auch an diesem 2. Tag überhaupt keine Mühe. Es beginnt wieder zu regnen.
Frische Backsteinhäuser. Unser Quartier ist der Gemeindesaal der ev. Kirche. Im WC nur ein Waschbecken. Das muß reichen für uns Männer. Ich habe eine dünne Schaumstoffmatte dabei und einen Schlafsack.
Wir liegen alle in zwei miteinander verbundenen Räumen auf dem Boden. Neben der Tür zum Vorraum habe ich es mir “bequem” gemacht.
Margit fragt, ob hier einer schnarche. “Ja, ich” melde ich mich fröhlich. Sie platzt: So was Rücksichtsloses! Eine Zumutung! Ich solle gefälligst in einen anderen Raum verschwinden.
Tue ich aber nicht.
Im Vorraum liegen auch noch ein paar und im Windfang schlafen Christoph und Anna. Ich gehe noch etwas raus, um eine Telefonzelle zu finden. Margret anrufen. Gründliche Fußpflege.
Die Nacht ist eine Katastrophe. Wie ich mich auch lege, überall drückt der harte Fußboden durch die dünne Matte. Warum habe ich Idiot nur keine Luftmatratze mitgenommen! Mir tut alles weh und ich schlafe miserabel. Dadurch bin ich allerdings auch nicht zum Schnarchen gekommen.
Margit zur Freude.
88 km
< | Übersicht | > |