71 Hospital de Orbigo – Rabanal del Camino

Donnerstag, 10.Juni 2004, 39,5 km

Wetter: sonnig, sehr heiß, leichter Wind

Im Stockdunklen los. Graudämmernd durchs Tal, gründämmernd auf die Höhen. Oben hat jemand eine alte Kirchenbank (mit Kniebänkchen) als Aussichtsbank montiert. So lassen sich rigoroser Sparzwang und reduzierter Kirchgang hübsch vereinen. Kurze Schokoladenpause mit Blick zurück in den keimenden Morgen.

Steil auf und Ab (endlich wieder!). An Pausenplatz toller Blick über Azurga mit seiner Kathedrale. Steil runter auf grob ausgewaschenem, breit ausuferndem Schotterweg. Entsprechend steil wieder hinauf in die Altstadt. Sms von Herrmann, dass ich ja nun schon die Kirchen halb Europas besungen hätte. Macht mir Mut für Astorga. Vorbei an Gaudis Bischofpalast zur Kathedrale. Messe, nehme teil, dann, trotz vieler Touristen:       Laudate . Ich lern’s schon noch, mich zu trauen.

Heiß neben Landstraße bis Murias, viele spanische Wochenendpilger. Aus einem Bus steigt eine Gruppe Behinderter. Bar, Pause: Radler und Brot mit Käse und Schoko aus dem Rucksack. Ein freundlicher weißgrauer Köter setzt sich vor mich hin, Schnauze über Tischhöhe, Schwanz wischt erwartungsvoll das Pflaster. Er dreht seinen Kopf mit einer leidenden Bewegung, so von links unten nach rechts oben, und blickt mich gottserbärmlich an.

No! Das ist MEIN Vesper. No! Vorwurfsvoll seufzend trollt er sich: Du bist schuld, wenn ich verhungere.

Die Behindertengruppe zieht vorbei. Anscheinend macht sie bei dieser Mittagshitze einen Sonntagsausflug auf dem Jakobsweg

Dann Pilgerrennstrecke: Landstraße, daneben Grünstreifen 6m breit, dann Fußpilgerweg, frisch angelegt, wieder daneben noch ein Grünstreifen mit fast mannshohen Ginsterbüschen 3m breit, dann Radpilgerweg. Übermannshohe Orientierungstafeln, ohne wesentlichen Informationsgehalt. So kann man’s Geld aus Brüssel auch ausgeben. Separatisten aus Leon haben alle Hinweise auf Kastilien übersprüht.

Wechsle auf den Radweg, um die Behindertengruppe vor mir zu überholen. Einer wankt vorwärts, sein rechter Arm hängt schlenkernd nach unten, sein linker ist steif gebeugt nach oben gereckt, die Hand spastisch gekrümmt. Wiederholt schreiend “Papa, mano! Papa, mano!” in die Mittagshitze. Vermutete Erziehungsversäumnisse an meinen Buben überfallen mich, kann ja nix mehr machen. Verzweiflungstränen in Schweißbächen.

Es geht deutlich in die Vorberge hinter Leon. Häufig rauf und runter, teilweise Trampelpfad oberhalb der Landstraße. Heiß. Kleine Bar am Ortseingang von Rabanal, Spaghetti auf der Karte. Muss ich nachher hin. Rabanal ist klein, nur eine Straße seitlich den Hang hinauf, aber sehr gepflegt, alle Häuser hergerichtet. Marienkapelle vergittert, kleine Klosterkapelle mit romantischem Vorplatz zum Kloster, aus einem der Fenster hängt eine bayerische Fahne. Blauweiße Rauten. Ein Mönch kommt aus München. In angrenzender Pilgerherberge haben sich meine drei Wiener wiedergetroffen.

Auf Straßenseite gegenüber mein Hotel, hübsches Zimmer. An Tischchen in Bar mehrere Bierchen mit Limo, Tagebuch, Pilgerpärchen trinkt an der Bar. Zum Zahlen gehe ich an die Theke, nehme mir dort mein nahezu geleertes Bierglas, das Noagerl (für Nichtbayern: der schale Bierrest am Grunde des Glases) schütt’ ich noch schnell runter, nur nix umkommen lassen.

Mein Glas steht aber noch unten am Tisch.

Bäh! Hab’ das falsche ausgetrunken.

Die kleine Kapelle, das Nötigste repariert, ist offen:       Laudate . Einer der Mönche kommt rein, bemerkt mich, macht eine kurzen Kniefall zum Altar und schließt die Tür wieder hinter sich.

Wollte ja noch zu der Bar am Ortseingang. Auf dem Weg runter ist die Marienkapelle jetzt offen:       Laudate . Aus der Bar lockt munteres Frauengelächter, bekomme leckere Spaghetti Bolognese. Zwei weiße Riesenhunde poltern aus Kastenwagen. Der eine gesellt sich erwartungsvoll zum Nachbartisch, der andere trottet an meinen, stellt sich halb hinter mir auf und guckt auf Schulterhöhe in meine Nudeln, Sabber am Maul. Ich konzentriere mich nach vorne, schieb nur das Glas Rotwein etwas weg und lass es mir schmecken.

Um 19:00 Vespergesang mit Pilgersegnung. Die Kapelle ist proppenvoll. Ein Pilger filmt von hinten die Zeremonie und wird deshalb nachher vom bayerischen Benediktinermönch sanft zusammengeschissen.

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