8. Tag

Von Bozen zum Fölserhof. 

Anstieg morgens im Dunkeln (ca. 5.30 Uhr), zusammen mit Michael (vegetarischer Koch im Chiemgau, kommt ursprünglich aus  Ostberlin, 31 Jahre alt aber noch sehr unreif, viel Astrologie im Kopf, erklärt sein ganzes Leben mit irgendwas im dritten Haus und Einfluß des Uranus in Verbindung mit dem Jupiter, die Konstellationen derzeit seien für ihn extrem günstig, na ja, irgendeine Bindung braucht er ja, birst vor Kraft und Bewegungsdrang wie ein junges Fohlen, aber unkoordiniert und unökonomisch, läuft schnell und unruhig, dreht sich abrupt um, fragt was, bringt mich aus meinem Rhythmus.) Der Ausfstieg ist deshalb nicht die reine Erholung. Beim nächsten mal werde ich Christof bitten, nichts von meiner morgendlichen Sondertour zu erzählen. Als ich gestern schon im Bett lag klopfte es, Michael fragte, ob ich der Jürgen Krauss sei, und ob er nicht mit mir morgen früh aufsteigen könne. Ich hatte nicht den Mut, ihm abzusagen). Anstieg etwa 900 Höhenmeter, Dauer gute 2 Stunden. Oben Wartezeit bis die ganze Gruppe da ist: ca. 30 Min. Man kann also etwa eine halbe Stunde später unten starten. Es ist kalt, aber schönes Wetter.

Wir trinken oben eine Apfelsaftschorle, die nach den ausgezuzelten, frischen Äpfeln, die wir in einer Pause am Anstieg genossen haben, ganz schal schmeckt. Mich friert, obwohl ich den Anorak anhabe.

Christof bespricht mit mir die Tour. Ich schlage ihm vor, den E5 zu gehen, da er jetzt in der Sonne liegt und uns alle schön wärmen kann. Christof besteht aber auf dem 1er, der hinten herum, im Schatten, und über eine zusätzliche Steigung von ca. 200m führt. Normalerweise bin ich für jeden Umweg zu haben, aber bequemes Schlendern in der Sonne hätte mich heute morgen mehr gereizt.

Wir starten, es wird schattig. Langer Anstieg im Wald über felsigen Pfad. Ich komme schön ins Schwitzen.

An einem Abzweig unter einem großen Laubbaum, vor einer Almhütte, warten wir auf die anderen. Es ist eiskalt. Als alle da sind, macht Christof eine Meditation. In der Kälte!!. Im Stillen bin ich sauer auf mich, daß ich nicht auf dem E5 bestanden habe. Das Eis kriecht duch den Anorak auf meine nasse Haut. Der Meditation kann ich nicht folgen, bin zu sehr mit mir selber beschäftigt.

Weiterer Anstieg, zunächst über rauhreifgefrorene Wiesen, dann teilweise steil, felsig; kurze Rast etwa 100m unter der Passhöhe. Christof  rezitiert den Herrn von Ribbek auf Ribbek im Havelland. Einige suchen ein Fitzchen von der Sonne zu erhaschen. Mir ist eiskalt. Ich möchte lieber weiter. Warum sich Christof gerade hier wieder Zeit läßt, ist mir ein Rätsel.

Steiler Anstieg.

Oben Übergang auf einen schönen, weichen Waldweg. Wir kommen immer mehr in die Sonne. Wunderbar. Schließlich eine Wegkreuzung mit einer sumpfigen Wiese und einem Grashügel…  sonnendurchflutet. Wir machen eine kurze Pause, Zeit genug, sich hinzulegen und die Wärme bis in die letzten Knochen vordringen zu lassen.

Schöner Weg, teilweise über stille Almwiesen, Kühe grasen, kurzer, steiler Anstieg in einer Sandgrube, langer Anstieg entlag einem Hochtal, grandioser Bergabschluß, davor ein stilles Gehöft, immer wieder die braunen Kühe, die mich so schön an meine Kindheit im Allgäu erinnern, mit ihren feuchten, gemütlichen Schnauzen, den sanften Augen und den lebhaften Wedelohren mit den zarten, hellen Randhaaren. Ein schlängelnder Bach, Natur wie im Bilderbuch.

Einen kurzen Berg im Wald hinauf. Ich bitte Michael, der etwas vor mir läuft, nach der Anhöhe eine Pause einzulegen. Da kommt genau die richtige Stelle: Ein sonnenüberfluteter Almwiesenrücken, mit schattenspendendem Baum und weitem Blick auf die andere Talseite, wo man Maria-Weißenstein in der Sonne ahnen kann.

Die meisten suchen sich ein Plätzchen. Eine kleine Gruppe will gleich weiter bis Deutschnofen. Ich schlafe ein wenig in der herrlichen Sonne. Was kann es schöneres geben, als sich anzustrengen und dann so wunderbar in freier Natur zu entspannen und sich die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen?

Christof rezitiert wieder (oder spricht er übers Fasten?). Ich passe nicht auf, bin mit meiner Karte beschäftigt. Der weitere Weg führt über Deutschnofen nach Maria-Weißenstein. Der letzte Anstieg dort hinauf war, soweit ich mich erinnere, ziemlich lang, steil und anstrengend. In Deutschnofen treffen wir die vorgegangene Gruppe am Ortsgasthaus. Frischwasserbrunnen. Ich fülle meine Flasche auf und trinke ein paar Schlucke aus dem Brunnen. Köstlich, kühl.

An Häusern vorbei, zwischen Zäunen eingezwängter Weg, schließlich hinunter zur Forststraße nach Maria-Weißenstein. Michael geht vor mir. Mich sticht der Hafer: “Woll’n wir doch mal die Gruppe von hinten aufrollen” sage ich und beschleunige meinen Schritt. Michael merkt das, beschleunigt ebenfalls und wir rennen schließlich beide in fröhlicher Konkurrenz einen steil ansteigenden Waldweg hinauf. Ich spüre, daß ich mit so viel Jugend doch nicht mehr ganz mithalten kann, beschließe, mich zu zügeln, um nachher beim Anstieg nach Maria-Weißenstein noch genügend Luft zu haben. Der Aufstieg wird so schwer wie erwartet. Gelegentlich begegnen uns gebetemurmelde Pilgerfamilien. Ich gehe bewusst langsam, um durchhalten zu können. Ein Mitwanderer, blonder Schnauzbart, Bürstenhaarschnitt, Bundeswehrhose, kräftig, zieht an mir vorbei. Ich lasse ihn, obwohl er meinen Ehrgeiz reizt. Einige Zeit später steht er abgewendet am Wegesrand und keucht sich aus. Kein Triumph, Mitleid.

Endlich oben, total triefend. Durst. Anstehen zur Apfelsaftschorle. Gleich 1/2 l Schorle und ein großes Spezi bestellt. Köstlich!! Noch eine Apfelsaftschorle hinterher.

Ich sitze mit Familie Meyer aus Hamburg (Heide, Töchterlein Friderike, Vater Hartmut) die schon seit Garmisch dabei sind, in der Sonne auf einer Bank vor dem Gasthaus und lasse es mir gutgehen. Um halb 4 will Christof eine Zusammenkunft am Feuerwehrhaus. Wir gehen hin. “Setzt euch hier hin” deutet er auf den flachen Wiesenhang am Wegesrand. Wir gehorchen brav. Christof begibt sich zum anderen Teil der Gruppe, die etwa 25m entfernt Platz genommen hat. Er beginnt irgendetwas zu erläutern, was wir wegen der großen Entfernung nicht mitkriegen. “Was ist denn mit euch? Wieso kommt ihr nicht hierher?” ruft er schließlich. Manchmal weiß er halt nicht, was er wollen soll. Karin ist sauer auf ihn.

Lange, umständliche Debatte, wie diejenigen, die nicht mehr mitwandern wollen, zum Fölserhof kommen können. Da ich einen weiteren und höheren Weg als Christof gehen möchte und rechtzeitig starten will unterbreche ich die Diskussion und biete die längere Tour an. Etwa 11 wollen mit. 

Zunächst längerer Anstieg, wir kommen schön ins Schwitzen. Hier ist der Wanderweg eingezäunt, damit die vielen Besucher nicht wild durch die Gegend trampeln. Oben Forstweg. Schließlich biegt der E5 nach links auf eine Alm ab. Leichter Anstieg nach rechts hinauf über die Matten, ein kurzes Stück durch einen Wald. Michael geht vor mir. Links oberhalb eine Bank, rechts der Anschein eines Forstwegs. Michael deutet: Links oder rechts? Ich sage: “Rechts”. Michael: “Aber da ist doch gar keine Markierung”. Ich spüre, wie ich kurz ärgerlich werde, und deute noch einmal nach rechts. Ich bin mir sicher, daß hier der Weg entlang führt. Tut er auch. Nur zweigt er kurz darauf noch mal rechts ab. In meinem aufkeimenden Ärger habe ich das helle Schild rechts zwar gesehen, rechthaberisch aber nicht wahrgenommen. Da hätten wir lang sollen. Statt dessen zunächst geradeaus einen Almweg hinauf, der sich im Wald immer mehr verliert. Rechterhand ein durchgehender Zaun: dahinter die Steilabstürze der Bletterbachschlucht. Wir kommen immer höher hinauf, mein Höhenmesser zeigt inzwischen 1850m, der E5 liegt aber auf 1700 m. Laut von hinten:”Sind wir hier eigentlich richtig?” Ich, voller Überzeugung: “Natürlich!”. Im Stillen bin ich froh, daß ich gestern, beim Eröffnungsgespräch, Christofs Elogen über meine Wanderführungsqualitäten mit dem Kommentar relativiert habe, daß man sich mit mir auch verlaufen könne; und schon ist’s passiert.

Ich beschließe, entlang des Zauns wieder zurückzugehen. Dort müssen wir notwendigerweise irgendwo wieder auf den Weg treffen. Das gelingt dann auch an der Stelle, an der ich mich vorhin geärgert habe. Fazit: vergiß auch im Ärger nie, auf Wegzeichen, Markierungen und sonstige Hinweise zu achten. Hochmut und Unaufmerksamkeit werden postwendend bestraft!

Weiter auf dem gut markierten und gut zu gehenden E5. Steiler Abstieg in die Bletterbachschlucht. In der Mitte kurze Saftpause. Abstieg zum Wasserfall. Auf der anderen Seite der Schlucht steiler, langer Anstieg. Ist mit kleinen, langsamen Schritten, teilweise durch feuchten Matsch, aber gut zu bewältigen. An einer Stelle muß man aufpassen, nach einer Kante steiler Absturz, man muß nach links oben weiter gehen.

Schöner Weg durch Latschen, entlang den Abbrüchen der Schlucht mit grandiosen Blicken auf die andere Canyon-Seite. Kurze Rast an einer Bank. Wir gehen weiter. der Weg führt an einer Hangflanke entlang, gabelt sich dann leicht: einer führt leicht nach oben, der andere nach unten. Unten ist richtig. (Morgen werden sich hier Knut und Genossen verlaufen, obwohl sie eine Karte haben).

An sämtlichen Abzweigen muß man sich eher rechts halten, Richtung Zirmer-Hof, den wir über ein sanftes Wiesental erreichen. Am Hof rechts vorbei, über einen Parkplatz, dann einen flachen Wiesenweg direkt zum Wald. Ein kleiner Hohlweg führt hinunter zu einem Gehöft. Wir müssen über die Viehweide, einige Rinder grasen, der Schäferhund kommt angelaufen, sanfte Abendstimmung.

Wir überqueren die Weide, halten uns dann rechts auf den Forstweg. Diesen immer hinunter. An einer größeren, offenen Kreuzung wieder links. und dann geradeaus den immer steiler werdenden Pfad hinunter. Der Weg ist gut befestigt mit großen, flachrunden Wackersteinen, aber sehr anstrengend zu gehen. Einmal kann man den Fölserhof rechts ganz unten im Tal deutlich ausmachen. Schließlich treffen wir uns unten an der Autostraße.

10 Minuten entlang der Straße, ich suche nach einer Abkürzung, aber es ist schon zu dunkel, schließlich doch noch ein Trampelpfad. Einige 100 m Straße haben wir uns gespart. Christofs Gruppe ist schon da.

Schönes 2-Bett-Zimmer zusammen mit Wilfried (Metzger, Koch, aus dem Norddeutschen). Mecki nimmt mir doch tatsächlich meine durchschwitzten  Hemden zur Wäsche ab. Engel!

Ich habe Lust auf ein kleines Bier. Frage in der Küche nach. Die rundliche nette Wirtin schaut mich entsetzt an, ob ich das überhaupt dürfe??. Sie muß erst Mecki fragen: “Darf der das?”. Mecki lacht: “Trinkst Du das auf Deinem Zimmer?” “Ja” “Dann darf er”. Kopfschüttelnde Wirtin. Das Bier schmeckt, in kleinen, kühlen Schlucken, köstlich. Singen, massenhaft Brühe trinken.

Christof erklärt die weiteren Touren und den morgigen Aufstieg zum Weißhorn. Ich war noch nie dort, es soll aber ganz oben etwas zu klettern geben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir zutraue, die Gruppe da oben zu führen, denn ich bin nicht ganz schwindelfrei. Aber vielleicht kommt Heinz aus Leifers und führt uns hinauf.

Schorsch singt, sehr brutal, spielt dazu Gitarre.

Köstlich geschlafen.

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