Vom Fölserhof zum Weißhorn und zurück.
Heinz ist da, ich brauche mir also keine Sorgen wegen der Führung aufs Weißhorn zu machen. Vor dem Start noch Andacht in der kleinen Kapelle. Es geht um Anna, Christophs kürzlich verstorbene Lebensgefährtin, die ihn bei seinen Wanderungen immer unterstützt hat. Die Kapelle ist ganz voll. Wir singen ein paar Lieder, Christof spricht von Anna. Nach einer kleinen Weile trage ich Rilkes “Herbstblätter” vor. Das Bild von den großen, sanften Händen die uns tragen und auffangen, wenn wir müde sind und vergehen hat es mir angetan.
Die Blätter fallen, fallen wie von weit
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die stille Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen- diese Hand da fällt,
und sieh’ dir and’re an: es ist in allen;
und doch ist Einer welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Wir starten, Wetter leicht wolkig, aber mein Barometer zeigt auf “schöner”. Elend langer und anstrengender Anstieg, insgesamt 3 Stunden, 900 Höhenmeter bis zur Alm. Tamara will schon ganz am Anfang abbrechen, wird aber von Christof schließlich umgestimmt. Steiler Anstieg nach links zwischen den Häusern eines Bauernhofs, einen steinigen Fahrweg hinauf, ich schwitze, alles tropft; schließlich kurze Pause an einer Brücke über den Wildbach, um alle aufschließen zu lassen. Einige gehen schon voraus. Der Weg trifft wieder auf die Straße, sollte er aber nicht. Rechts geht ein Trampelpfad in den Wald hinein.
Ich denke, den nehmen wir.
Langer, langer Anstieg, gelegentlich flache Waldwege, halb im Freien, zum Ausruhen. Ich prüfe mit Kompass und Höhenmesser, ob wir richtig sind. An einer Gabelung, im flachen Teil, geradeaus weiter. Himmelsrichtung stimmt. Schließlich längere Rast an einer Straßenkreuzung. Es ist kalt, aber die Sonne kommt immer wieder ein bißchen durch.
Manche wollen schon weiter, ich schicke sie rechts hinauf. Forststraße.
Über einen Trampelpfad kürze ich ab, einige folgen mir, (bin ich da noch richtig, dauert das nicht zu lang??) und komme an einer Spitzkehre wieder auf den Forstweg.
Gurndin-Alm.
Apfelsaftschorle an Bar im Freien. Die Wirtin kann sich an Fastenwandergruppen erinnern, erzählt, daß sie kürzlich das Fasten zuhause versucht hat.
Die Sonne kommt zwar ein wenig durch die Wolken, aber es ist windig und empfindlich kalt, zu kalt, um draußen zu sitzen. Gelegentlich verschwindet der Gipfel des Weißhorns in dunklem Nebel. Ich erinnere mich an Margrets Erzählungen von Gewittern am Weißhorn und versprengten und verzweifelten Fastenwanderern, die sich dann einzeln zum Fölserhof durchgeschlagen haben.
Durch die gepflegte Küche (Hmmmmmm!!) stürmen wir die gemütliche Stube. Ich leiste mir eine herrlich heiße Fleischbrühe und dann noch mal eine. Köstlich. Und noch einen Capuccino!
Wer Lust und Kondition hat, geht mit Heinz und mir aufs Weißhorn.
Knut (Ostberlin, irrwitzig sportlich, 100 km Dauerlauf etc, Jungunternehmer im neokapitalistischen Ostdeutschland, erzählt auch an Anstiegen über seine Interessen, etwas laut, aber sympatisch) hat Petra (auch Ossi, beim Rundfunk, ARD-Anorak (“bei mir sitzen Sie immer in der ersten Reihe”), eigentlich typische Rundfunkjournalistin, hübsch, rundlich, mit engem, dünnem schwarzem Pulli, man kann vieles durchgedrückt sehen, hatte Christof wie einen alten Bekannten begrüßt, breitete theatralisch ihre Arme aus: “Chriiiistof”! Christof, etwas irritiert. Sie, das merkend: “Petra, kenn’st mich nimmer?” Er: “Ahhh, Petra”. Man spürt, er kann sich eigentlich nicht so recht an sie erinnern.) überredet, mit aufs Weißhorn zu gehen. Ich mache das Schlußlicht.
Petra und Knut unterhalten sich angeregt am ersten steilen Anstieg. Bin mal gespannt, wie lang das gut geht. Schließlich geht ihr die Puste aus. Sie bleibt stehen, bleich: “Ich kann nicht mehr”.
Was tun? Christofs Gruppe ist längst weg. Sie alleine zurückzuschicken wage ich nicht, mit ihr zurückgehen will ich nicht, ich möchte auf den Gipfel, Knut der Stoffel macht keine Anstalten, ihr seine Begleitung für den Rückweg anzubieten, er hat wohl selbst seinen Ehrgeiz, und so entschließe ich mich, sie mit hinaufzuschleppen.
Ganz gestrenger Lehrmeister:
“1. Beim weiteren Aufstieg wird nicht geredet,
2. Atmung mit Schritten synchronisieren
3. wir gehen so langsam wie möglich. Ich gehe vor, Petra in der Mitte, Knut hinten”.
Wir stapfen betont langsam bergauf, Knut flüstert hinten, Petra antwortet nicht. Weiter hinauf auf steinigem steilem Pfad zwischen Latschen hindurch, Knut hört nicht auf zu quatschen, bis Petra ihm schließlich antwortet. Kurz darauf bittet sie natürlich um eine Pause. Ich ignoriere die Bitte, sie bittet nochmal. Da drehe ich mich um und fauche Knut an: “Ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du aufhören könntest, Gespräche zu provozieren. Ich latsche extra langsam, um Petra, die ja schießlich Du überredet hast, hier hinaufzuhelfen !!”.
Er nimmt übel, bleibt aber die letzten 50 Höhenmeter still.
Am Ende noch eine kleine Kletterei, ca. 10m Höhenunterschied, etwas aufregend aber nicht schwierig. Oben Sonne und herrlicher Blick über die Bletterbachschlucht und die Bergwelt. Eine sehr lohnende Tour. Ich schlotze mal wieder einen Apfel aus. Ein Mädchen: “Du nimmst das Fasten wohl auch nicht so ernst?” “Doch, aber was Besseres als naturfrischen Apfelsaft gibt es nicht; der ist mir lieber als der Saft aus der Plastikflasche und der Honig.” Zum Beweis, daß ich den Apfel nicht esse, zeige ich auf den Haufen Apfelschrott neben mir.
Hübscher, leichter Abstieg, immer an der Hangkante zur Bletterbachschlucht entlang, durch niedrige Kiefern. Alle scheinen froh, den Anstieg mitgemacht zu haben. Kurze Rast am Einstieg ins Butterloch. Steiler Abstieg. Eine Schulklasse macht Ausflug. Das fröhliche Kinderlachen erfüllt die Schlucht und macht mich heiter.
Etwas beschwerlicher Weg über Geröll und große, glattgeschliffene Brocken den Bach entlang bis hinunter zum Wasserfall. Von dort aus dann der gleiche Heimweg wie schon am Vortag. Nur an einem sanften, märchenhaften Wiesental, das mir schon gestern ins Auge gestochen war, machen wir eine entspannte Rast in der Abendsonne. Ich schlafe ein. Mein Schnarchen wird mir anschließend bestätigt.
Abends bringe ich meine leere Bierflasche von gestern in die Küche mit der Bitte um Umtausch. Die Wirtin lacht diesmal und bringt mir eine volle.
Mecki hat meine Hemden gewaschen und sogar sorgfältig gefaltet. So ein Service! Ich drücke ihr einen Kuß auf die Wange.
Das Singen beginnt heute Schorsch mit einer grauslichen Verballhornung von den “schwindelnden Höhen”, von abstürzenden Freunden, denen im Vorbeiflug noch die Hand gereicht und dabei abgerissen wird etc. Mir stellen sich die Nackenhaare auf, ich bekomme einen Kloß im Bauch und singe ostentativ nicht mit. Ich mag das Lied zwar nicht besonders, weil so leicht gegröhlt wird, aber das geht mir dann doch zu weit.
Als er ein Stück auf der Gitarre nicht begleiten möchte, weil er es nicht kennt, reicht er sie mir und das Singen kommt in freundlicheres Fahrwasser.
Christof spricht über Ernährung. Er erläutert, warum er beim Fasten den Saft in Plastikflaschen mitführe: der liebe Gott habe ihn halt nicht in Flaschen am Baum wachsen lassen, und deshalb müsse man ihn abfüllen. Ich erinnere mich, wie abfällig er am Vorstellungsgespräch über diejenigen gesprochen hatte, die “angeblich ihren Apfel nur auslutschen, in Wirklichkeit aber essen” (ich hatte mich da angesprochen gefühlt) und widerspreche ihm: ob denn Äpfel und Birnen und Weintrauben nicht die geeigneten Gefäße seien? und die habe Gott doch ganz natürlich geschaffen? Jaaaa, schon…aber. Die Diskussion verliert sich etwas.
Christof wird wieder grundsätzlich, spricht von unserem natürlichen Leben auf den Bäumen und der daraus resultierenden vegetarischen Ernährung und der Unnötigkeit und Schädlichkeit Speisen gar zu kochen.
Schorsch versteht was nicht, unterbricht den Vortrag mit der Bemerkung es kämen alle nicht mehr mit, was von den Anderen nicht bestätigt wird, und verschwindet anschließend beleidigt. Er ist ein komischer Kauz, ruppig, etwas grob, aber irgendwie liebenswert. Nach Vortragsende und Abendlied taucht er wieder auf und startet noch einen Singabend.
Ich verschwinde ins Bett.
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