13. Tag

Von Campomezzavia über Valrovina nach Bassano del Grappa

 Meckis Bus springt nicht an. Ein paar Männer helfen. Wir schieben den Bus bis hinaus auf die Straße, und schaffen es nicht. Mitten auf der Autostraße bleibt der Karren stecken. Ein großer Reisebus kommt angebraust, bremst, ein schneller PKW setzt zum Überholen an. Wir schreien und gestikulieren. Er hält, Gott sei Dank, an. Schließlich rollt unser Bus wieder.

Ich bin etwas außer Atem. Capuccino an der Bar, Molke im Speiseraum.

Zunächst eine halbe Stunde die Straße entlang. Das Wetter ist trüb-neblig, aber trocken. Langsamer Anstieg im Wald, Forstweg, teilweise ziemlich neu angelegt. Christof sucht nach der Abkürzung, geht dann aber doch wieder ans Ende der Gruppe.

Ganz überrschend biegt nach rechts ein kleiner, schwach markierter Wanderpfad ab. Wir folgen ihm. Alles ist taufeucht, dampfig. Einen langen, lichten Hangpfad nach oben. Stacheldrahtzaun. Ich hebe ihn hoch und lasse alle durch. Roland hat Fieber und sieht arg angeschlagen aus. Auf einer freien Wiese kurze Rast. Ich streichle Melissengeist aus meinem Rucksack auf Rolands Gesicht. Es tut ihm offensichtlich gut.

Weiter auf gemütlichem Forstweg. Ich lasse mich weit zurückfallen, zutzel einen köstlichen Apfel .

An einer Straßenkreuzung kurze Saftrast. Weiter über Waldpfade, teilweise sehr schwer zu finden, einmal sogar nur markiert, ohne Spur, hinaus in eine freie Alm. Langer Weg in weiten Serpentinen. Endlich der Wanderpfad nach rechts abwärts über ein Wiesental, durch kleine Waldstücke, wieder Almen, in einen zauberhaften Talgrund, mit großen Steinblöcken. Die Wolken werden etwas dünner, man kann die Sonne spüren, aber nicht sehen. Das ist der richtige Platz zum Fastenbrechen.

Ich lasse mich bewusst neben Knut und Petra nieder. Irgendwie muß seine Verstimmung sich auflösen lassen. Er bemerkt, daß ich an meinem Höhenmesser fummele und beginnt ein interessiertes Gespräch über die Technik.

Na also.

Technik scheint für Männer der einfachste Aufhänger zu sein, um miteinander klarzukommen.

Christof macht eine kleine Apfelmeditation, Heides Zimmerkollegin liest einen Text von Khalil Gilbran. Nach einer halben Stunde brechen wir wieder auf.

Unten an einer Alm hätten wir uns fast verlaufen, weil der Weg so verführerisch geradeaus läuft. Durch ein sanftes Seitental entlang einem ausgetrockneten Bach auf Karrenweg, ganz mit Gras verwachsen. Vorne tauchen im Nebel die Häuser von Rubbio auf. Unseren allerletzten längeren Anstieg kann man von hier aus schon mal mit den Augen genießen.

Anstieg. Ganz gleichmäßiger, flotter 2/2-Schritt. Neben mir hält Heide mit. Sie geht den gleichen Rhythmus, den gleichen Atem. Wir überholen sogar die kleine Veronika (mit ihrem groben, schwer vertändlichen Schwäbisch), und das will was heißen. Ganz entspannt komme ich oben an.

Mit hochgestrecktem Daumen aus geschlossener Faust signalisiere ich Heide meinen Respekt.

Saftpause, bis alle da sind. Abstieg Richtung Valrovina, zunächst über Serpentinenstraße im Nebel. Einige haben den falschen Weg gewählt, als sie vorausgegangen waren. Über einen Zaun zum Brombeerhain. Eine Hangklinke, die sich etwa auf 300m Länge den Abhang herunterzieht und dicht mit einer Reihe Brombeersträuchern bepflanzt ist. Teilweise köstlich, teilweise zu wenig fruchtig.

Am Einstieg in den letzten, steinigen Serpentinenweg warten wir, bis sich alle sattgegessen haben. Christof braucht am längsten.

Langer, romantischer Pfad bis nach Valrovina. Ich beeile mich, möchte den Weg nicht trödeln; ganz allein zu sein ist sehr schön. Die Gruppe ist weit weg hinter mir. Einen solchen Weg sehr schnell zu gehen erfordert Konzentration und macht Spaß: Schnell zu wechseln zwischen Felsbrocken, glatten Steinen, Wegrand, den Brombeerlassos ausweichen, Vögel fliegen aus ihren Verstecken auf, Eidechsen rascheln durch die Steine, weit unten Hundegebell. An einem Strauch die köstlichste Brombeere meines Lebens.

Unten freue ich mich auf eine süße Feige, erwische aber nicht die richtige und lasse es bleiben.

Warten auf der Freitreppe vor der Kirche. Mecki ist mit dem Bus schon da und wird von uns aus ihrem Schlummer geweckt: “Was? Seid ihr schon da?”.

Langsam trödeln alle ein. Eine größere Gruppe hat mit Christof bei einem Bauern das Fasten zusätzlich mit Salami, Weißbrot, Rotwein und Trauben gebrochen. Wo bleibt da der Appetit auf den versprochenen Salat?

Schließlich sitzen wir alle auf der Treppe. Die Körperwärme des Abstiegs läßt langsam nach und wir rücken etwas zusammen. Bei mir stellt sich ein Gefühl wohliger Gruppenzugehörigkeit ein.

Ein uralter Italiener, mit Stock, trockene runzlige Gesichtshaut, hat Hartmut in seinem schwer verständlichen Italienisch von seiner tollen Zeit als Soldat in Polen etc erzählt. was Hartmut mit freundlichem Nicken und “Si, si” bekräftigte. Der Alte verschwindet und kehrt mit einer 2-Liter-Flasche Rotwein zurück, die er uns kredenzt. So was!

Wir wollen fotografiert werden.

Ein junger italienischer Papa im Jogginganzug, der sein Baby im Kinderwagen ausführt, tut uns den Gefallen. Alle ihm zugereichten Fotoapparate lässt er in den tiefen Taschen seines Anzugs verschwinden, als ob er sie einkassieren wollte. Als er sämtliche Apparate durchgeknipst hat, entfernt er sich lachend mit theatralischen Abschiedsgesten und alle Apparatebesitzer stürmen hinter ihm her, ihre Fotoapparate fordernd. Nun wird er geknipst.

Wir entern das Lokal. Liebevoll angerichtete Salatteller, Kerzen auf den Tischen, gemütliches Halbdunkel. Ich steuere auf den Platz auf der Stirnseite eines großen Tisches zu.

Zu dem Salat ein kleiner Rotwein, den ich mir an der Bar besorge. Andere trinken von dem Wein des Alten. Der Wein schmeckt köstlich, kleine, heiße, etwas scharfe Schlucke. Sanfte, grüne Sauce von Mecki, etwas Essig und Öl auf dem Salat.

Weiter gehts die letzten 4 km nach Bassano. Alle sind munter. Unten auf der Autostraße versucht Christof, mit seiner Flöte uns Wanderer vor  gefährlichen Autos zu warnen. Immer wenn er sein “Tröt,Tröt” erklingen lässt, ist das Auto auch schon vorbei. Aber er hat wenigstens seinem Fürsorgegefühl Rechnung getragen. In Bassano direkter Weg zur alten Holzbrücke. Zwischendurch bin ich mir nicht ganz sicher, ob der Weg stimmt, aber wir kommen punktgenau an.

Christof möchte uns zur Burg führen, zur Stadtmauer und dann zum Bahnhof. Er hat ein für einen Frieden predigenden Menschen eigenartiges Faible für militärische Anlagen.

Die Gruppe teilt sich auf. Mit einer kleinen Gruppe (Tamara ist dabei… wer noch?) gehe ich kurz Richtung Bahnhof, wo wir uns später alle treffen sollen, dann alleine zurück zum Stadtplatz. Dort sitzen Knut und Begleitung im Freien am Eiscafe. Ich besorge mir ein großes, köstliches Eis in der Tüte. Capuccino zusätzlich. Heide hat mit Jutta(?) irgendetwas gewettet und ein Eis gewonnen. Sie will es aber nicht, und gibt es mir. Treffen am Bahnhof. Die Gruppenmitglieder sitzen wie Spatzen auf der Stange auf einer Mauer im Halbdunkel.

Christof verteilt Fahrkarten im kalten Neonlicht des Wartesaals.

Ist das unser Zug? Ich frage den Schaffner und winke den Anderen, einzusteigen.

Bahnhof Mestre.

Welchen Bus müssen wir nehmen? Natürlich den falschen. Wir fahren ein Stück in der Gegenrichtung, steigen an einer unwirtlichen Haltestelle aus. Mit den beiden Töchtern von Irmtraud (sie war vor 2 Jahren auch auf der 2.Etappe dabei) teile ich Kenntnisse über das Deutsche Requiem aus. Sie haben ganz tolle Stimmen. Schade, daß ich das erst jetzt bemerke, wir hätten schön zusammen singen können.

Zurück mit neuem Bus.

Großes Hotel, Seitenblick in die elend ungemütliche Bar mit noch elenderer Techno-Musik. 3er-Zimmer mit Gerd aus Berlin (Kommunikationstrainer) und unserem Fohlen Michael. Das Sensibelchen hat letzte Nacht von unserem Schnarchen nicht schlafen können (wahrscheinlich war er nicht ausgelastet)  und bekommt das kleine Katzenzimmer nebenan. Heiße Dusche, Fußpflege, mal sehen, wer alles unten sitzt. Die Bar ist tatsächlich so ungemütlich, daß alle draußen im Freien sitzen (arg warm ist es ja nicht) und sich dem Lärm der Schnellstraße aussetzen. Ich hole mir ein Bier und setze mich zu Michael, Heide (Hamburg), Hartmut und Friderike (25, sie ist ein munteres Mädchen, wach, offen, nett, in Teilbereichen noch sehr kindlich, hat ihre Teddybären dabei, die jeden Tag aus der Seitentasche ihres Rucksacks lugen).

 Schließlich gehen wir alle in die Bar. Einige sitzen schon drin, ich geselle mich zu ihnen. Allerdings gibt es keinen vernünftigen Platz, um sich hinzusetzen. Heide holt ihre CDs und bittet den Keeper, sie aufzulegen.

Wir tanzen alle ausgelassen, heute fehlt uns wohl die stimulierende Wirkung eines 900m-Anstiegs, den holen wir nun auf dem Parkett nach (während der gesamten Tour hatte ich keinen Muskelkater; hier habe ich mir einen geholt).

Wir erfinden ständig neue Schritte, sehr zur Freude des Barkeepers, der mich mein letztes Getränk nicht mehr bezahlen lässt und uns noch einen weiteren, kostenlosen Drink anbietet. Dem ist’s wahrscheinlich immer so langweilig in seiner Bar, daß er über das lange Remmidemmi ganz froh ist.

Um 3.00 machen wir Schluß.

< Übersicht >